2018 - Rotterdam
30. August bis 2. September
"Wenn jede Stadt der Welt zur Verwandtschaft gehörte, wäre Rotterdam die verrückte Cousine aus Übersee. Sie würde ein schrabbelige Architekturbüro leiten, hätte sechs Kinder, kein Auto, dafür ein Hausboot, viel zur große Ohrringe und würde beim Ausgehen immer eine Runde schmeißen. Sie liebte die Kunst und das Chaos...."
Claudia Lehnen im KSTA vom 21./22. April 2018
Beim Start in Köln freuen sich alle 45 Teilnehmer auf die Stadt, die einer Ausstellung für einen riesigen Architekturwettbewerb gleicht.
Rotterdam wurde im 2. Weltkrieg im Innenstadtbereich bis auf einige Einzelbauten dem Erdboden gleich gemacht. Man nutzte die Chance und setzte nach Enteignung der Grundstücke in den Nachkriegsjahren ein völlig neues stadtplanerisches Konzept im Sinne einer autogerechten Stadt um. Mangels eines mittelalterlichen Kerns hat man seit dem versucht die neue Architektur der Stadt zur Attraktion zu machen.
1. Tag: Innenstadtspaziergang
Unser Stadtspaziergang mit den guiding architects, die uns 3 Tage begleiten werden, startet mit 2 Gruppen am neu gestalteten
Hauptbahnhof. Der Entwurf des Bahnhofs und seiner Umgebung stammt von Team CS, einer Arbeitsgemeinschaft zwischen Benthem Crouwel Architekten, MVSA Meyer, Van Schooten Architecten und West 8. Der südliche Eingang wird durch seine außergewöhnliche Gestaltung das Portal zum modernen Stadtzentrum mit seiner Hochhausarchitektur.
Das beeindruckend große, sehr gut erschlossene Fahrradparkhaus unter dem Vorplatz schafft in Kombination mit dem oberirdische Abstellverbot unglaublichen Freiraum und Klarheit .
Wir gehen vorbei an städtebauliche Visionen aus den 50er und 60er Jahren.
Lijnbaan
wurde mit der ersten Fussgängerzone überhaupt 1953 zum neuen Stadtzentrum. Aus dem gleichen Jahr stammt das Warenhaus de Bijenkoof von Marcel Breuer. Wohnblockkonzeptionen mit begrünten und verkehrsfreien Innenhofbereichen wurden in den letzten Jahren zu neuer Attraktivität erweckt und z.T. unter Denkmalschutz gestellt.
Zusammen mit neuen Verdichtungsprojekten durch Wohnhochhäuser / Verwaltung ohne Bauhöhenbeschränkung wie De Calypso,
De Karel Doorman, dem
Timmerhuis und kleiner Wohnhausprojekte wie Bloomgaardhof und Boomgaardstraat von Kühne und Co. Architekten, soll mit der extremen Verdichtung und einer guten sozialen Mischung der Bevölkerung die Stadt langfristig belebt werden. Die neue urbane Attraktivität hat die Bevölkerungstuktur verjüngt, die Hälfte der Einwohner ist unter 35 Jahre.
Etwas erschöpft erreichen wir am fortgeschrittenen Nachmittag die
Markthalle von MVRDV, die in außergewöhnlichem Ambiente Gelegenheit zu einer kulinarischen Stärkung gibt.
Letzte Station am Tag 1 ist das architektonische Konglomerat der
Kubushäuser von Piet Bloom 1982 – 1984 aus 38 Würfelhäusern, drei Großkuben, einem Hochhaus und einem Apartmenthaus. An der Architektur, heute auf vielen Postkarten abgebildet, scheiden sich bis heute die Geister. In den Großkuben befindet sich heute ein Hostel.
Ermüdet schlendern wir am Wasser entlang zum Hotel, direkt an der Erasmusbrücke gelegen, und lassen den Tag nach ein kleinen Erholungspause bei einem nahegelegenen Italiener ausklingen.
2. Tag: Kop van Zuid und Katendrecht
Über die Erasmusbrücke, einem Highlight der Ingenieurbaukunst, erreichen wir fußläufig das wirkliche Manhatten an der Maas. Durch das immer weitere Wegbewegen des Hafens in Richtung Meer, entstanden große Brachflächen die in den letzten Jahrzehnten durch eine radikale städtebauliche Herangehensweise auf Basis eines Masterplans von Riek Backer wiederbelebt wurde. Der Wilhelminapier zeigt uns eine Mischung aus einigen erhaltenen Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert und architektonischen Visionen des 20. Und 21. Jahrhunders.
Mit vielen Erläuterungen zur Geschichte und Architektur spazieren wir vorbei am
Pakhuismeesteren,
am 2000 als erstes der neuen Gebäude von Norman Foster errichtete
World-Port-Centrer,
dem
De Rotterdam
von OMA, als größtes Gebäude Europas, vorbei am Hotel New York und dem
Montevideo.
Über eine Fußgängerbrücke erreichen wir von hier aus Katendrecht. Vor einigen Jahren haben die Kreativen von Rotterdam den Stadtteil Katendrecht für sich entdeckt. Die Hafenbetriebe waren inzwischen in den moderneren Teil des Rotterdamer Hafens umgesiedelt und die Industrie- und Lagerhallen standen leer. Junge Unternehmer haben hier vor einigen Jahren die alternative Markthalle, die Foodfactory ins Leben gerufen. Hier nehmen wir einen entspannten Kaffee bei stahlendem Sonnenschein.
Der Stadt ist es u.a. mit Unterstützung von jungen Architekten, die sich trotz relativ schlechten Infrastuktur dazu entschieden haben hier in Reihe neu zu bauen, das Viertel zu einem attraktiven Wohnviertel zu entwickeln.
Nachmittags geht es zurück zur Innenstandtseite. Nach einem Mittagessen und Innenbesichtigung der
Kunsthalle (OMA) sehen wir den Museumspark, (Landschaftsarchitektue OMA und Yves Brunier), die Baustelle des Depot Museums Boijmans van Beuningen, das Het Nieuwe Instituut (Jo Conen 1993) und das Huis Sommerfeld (Brinkman en Van der Vlugt 1931), ein kleines Meisterwerk der klassischen Moderne.
Zum Verweilen bleibt insgesamt leider nicht viel Zeit, dafür würde sich sicher eine 2. Tour nach Rotterdam lohnen. Abends machen sich einige von uns zu Fuß oder mit dem Wassertaxi wieder auf den Weg in Richtung Wilhelmipier und Katendrecht, andere entspannen im Hotel.
3. Tag: Architektur der 20er und 30er Jahre
In den 20er und 30er Jahren kümmerten sich progressive Architekten um Wohnkonzeptionen für die Arbeiterklasse. Die Verbesserung der Lebensbedingungen wurde mit offenen stadträumlichen modernen Konzeptionen im Stil der neuen Sachlichkeit und der expressionistischen Backsteinarchitektur umgesetzt.
Pünktlich um 9:00 sind alle ausgecheckt und mit dem Bus geht es zu beispielhaften Siedlungen.
Wir sehen die berühmteste Siedlung von Ouds,“ De Kiefhoek“ wo zwischen 1925 und 1930 im armen Süden Rotterdams knapp 300 Wohnungen von weniger als 60 Quadratmetern Gesamtfläche entstanden. Die Siedlung wurde gerettet, indem im Zuge der Sanierung in den 90er Jahren jeweils zwei - seinerzeit für mehrköpfige Familien berechnete- Wohneinheiten zusammengelegt wurden.
Danach geht es mit dem Bus durch das Hafengebiet zur dörflich angelegten Enklave Heijplaat und zum Justus-van-Effen-Siedlungskomplex in Spangen, der 1922 von Michiel Brinkmann erbaut wurde. Die Gebäude sind nur vom Blockinneren erschlossen, die außen liegenden Laubengänge auf Höhe des 2. Stocks, die auch für Milchwagen befahrbar waren, erschließen die oberen Duplex-Wohnungen.
Nach einer kleinen Schleife zum Maastunneleingang (A. van der Steur 1948) nehmen wir unser Mittagessen mit beeindruckendem Panoramablick über Rotterdam im Euromast ein. Hier verabschieden wir uns nach zweieinhalb Tagen von unseren beiden sehr kompetenten Begleiterinnen der guiding architects.
Gestärkt geht es zum letzten atemberaubenden Highlight unserer Tour, der Van Nelle Fabrik, ein zwischen 1926 und1931 von den Architekten Brinkmann und Van der Vlugt errichtetes Monument der Moderne. In 3 Gruppen werden wir durch Studenten der Baufachrichtungen kompent und mit viel Entusiasmus durch die Gebäude geführt.
Le Corbousier bezeichnete das Gebäude seinerzeit als
„den schönsten Anblick der modernen Zeit“ .
Nicht umsonst wurde die Fabrik, die nach Meinung des Rotterdamer Bürgermeisters Ahmed Aboutaleb ein Bauwerk einzigartig in seiner Form und Material ist und aus der sozialen Perspektive seiner Zeit weit voraus , 2014 zum Unesco Weltkulturerbe.
Für Interessierte: in der ARD Mediathek findet man unter "Schätze der Welt" einen interessanten, informativen Bericht über die Van Nelle Fabrik (Verlinkung nicht möglich)
Mit sehr vielen Eindrücken geht es gegen 17:00 wieder in Richtung Köln.
“Wer lebt, sieht viel. Wer reist, sieht mehr.“
Arabisches Sprichwort
In diesem Sinne freuen sich alle auf die Studienreise 2019.